Der Lehrling lernt vom Meister. War schon immer so, nicht nur im Blues.
Von den beiden Walters heißt es, dass sie sich zwar nicht besonders sympathisch waren, sich aber des Öfteren über den Weg liefen und jeder dabei dem anderen dann seine neuen Tricks, Licks usw. vorführte, nach dem Motto: "Schau mal, was ich Tolles kann!" Der jeweils andere tat das dann wohl immer als "langweilig" und "alten Hut" ab, nur um zu Hause so lange zu üben, bis er den jeweiligen Trick, Lick usw. auch drauf hatte.
Was das Erlernen einer Fähigkeit oder einer Fertigkeit angeht, gibt es nicht nur unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. Es ist sogar so, dass ein bestimmter Weg, der für den einen der einzig mögliche ist, für einen anderen grundverkehrt ist und ihn vom Ziel eher weg führt. Lernen ist immer ein aktiver Prozess, der maßgeblich von der Motivation des Lernenden beeinflusst wird.
So lange mir das exakte Nachspielen von Juke, wie es LW gespielt hat, Spaß macht und ich das Gefühl (sic!) habe, es bringt mich weiter, lerne ich dabei. In dem Moment, in dem ich feststelle, ich komme hier nicht weiter, sollte ich vielleicht einen anderen Weg probieren.
Ich kenne einen Menschen, dem genau dieses exakte Einstudieren eines Musikstückes - Note für Note, an jedem einzelnen Ton so lange arbeiten, bis er perfekt ist - beinahe jegliche Lust an diesem Musikinstrument verleidet hat. Über die "Arbeit" ist die Freude verloren gegangen. Für diesen Menschen war dann klar, dass der Beruf des Berufsmusikers nicht das richtige für ihn ist. Der Musikwelt ist dadurch eine sehr begabte Flötistin verloren gegangen - dafür hat eine Realschule nun eine wunderbare Schulleiterin.
Es gibt nicht den einen Königsweg zum Ziel. Wenn dich, Gerald, das exakte Studieren der alten Meister zu DEINEM Ziel bringt und du auf diesem Wege dein Glück findest, ist das wunderbar. Für mich ist das Harpspiel ausschließlich Hobby. Ich mache das "nur" zu
meiner Unterhaltung. Ich weiß, dass ich nie ein Profi-Musiker werde, geschweige denn ein stilbildender Bluesharp-Meister. Will ich auch gar nicht. Was ich möchte, ist mit anderen Hobbymusikern zusammen und mit Spaß Stücke spielen, die mir und den anderen in der Band gefallen und die ich mit meinem - natürlich begrenzten - spielerischen Vermögen so zu Gehör bringen kann, dass eventuelle Zuhörer nicht weglaufen sondern vielleicht sogar ein wenig Freude beim Zuhören empfinden.
Mein Weg dahin ist vielfältig, windungsreich, teils beschwerlich, teils easy (meine ich in diesem Fall wörtlich -> "Easy" von Big Walter ist auch ein wunderbares Stück, mit dem ich viel gelernt habe
). Manchmal komme ich meinem Ziel näher, manchmal entferne ich mich vielleicht auch von meinem Ziel. Zum Teil ist auch der Weg selbst das Ziel - weil es mir Freude macht, ihn zu gehen. Es ist und bleibt immer MEIN Weg, den ich gehen kann / muss(?) / will(!). Ich selbst entscheide, welchen Weg ich gehe. Und das mache ich in der Regel auf der Basis der Motivation. Wenn eine von mir (!) anerkannte Autorität mir einen Weg zeigt, den ich gehen sollte, dann gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich diesen Weg probiere. Wenn ich dann weiter komme - gut. Wenn nicht, gehe ich halt wieder einen anderen Weg. Und selbst wenn ich weiter gekommen bin, heißt es nicht, dass ich diesen Weg bis zum Ende (gibt's das?) weiter gehe. Denn vielleicht ändere ich ja unterwegs mein Ziel.
Das ist das Schöne an einer Freizeitbeschäftigung: Man muss sich keinem fremden Druck aussetzen, wenn man das nicht möchte.
Mit anderen Worten: viele Wege führen nach Rom - und nicht jeder will nach Rom.
Schöne Grüße
Dirk